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05.04.2012
Trichterketten auf der Vulkanaufwölbung Tharsis
Perspektive [1] |
In der Vulkanregion Tharsis, ein Gebiet etwa der Größe Europas, in der das Marshochland infolge vulkanischer Prozesse zu einem mehrere Tausend Meter hohen Schild aufgewölbt wurde, können zahlreiche ungewöhnliche Landschaftsphänomene beobachtet werden. Das vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) betriebene Kamerasystem HRSC auf der ESA-Raumsonde Mars Express nahm im vergangenen Jahr bei einem über Tharsis führenden Orbit eine Reihe von geradlinigen Bruchstrukturen auf, entlang deren Verlauf sich Ketten von bis zu 1500 Meter tiefen Trichtern gebildet haben. Über die Entstehung dieser Trichterketten sind sich die Marsforscher noch uneins.
Kontextkarte [2] |
Diese, in der englischen Fachterminologie "pit chains" (deutsch: Krater-, Trichter oder Grubenketten) genannten geologischen Formationen können im Marshochland an mehreren Stellen beobachtet werden. Solche Aneinanderreihungen einzelner rundlicher Senken bildeten sich stets entlang von Störungen, also tektonischen Brüchen in der spröden Marskruste. Die Prozesse, die zu solchen Trichterketten geführt haben, könnten ganz unterschiedlicher Natur sein: Zum einen treten diese Ketten häufig an den Flanken von flachen Schildvulkanen auf, die einen großen Durchmesser an ihrer Basis haben. Wenn ein Lavafluss an seiner Oberfläche abkühlt und erstarrt, im Inneren jedoch flüssig bleibt und wie in einer Röhre weiter fließt entsteht ein unterirdischer Hohlraum. Erlischt die vulkanische Aktivität, kann ein Tunnel bzw. eine entleerte Lavaröhre im Untergrund zurückbleiben. Im Laufe der Zeit brechen dann entlang des Dachs der Röhre einzelne Abschnitte ein und hinterlassen an der Oberfläche rundliche Senken. Auch auf der Erde gibt es solche Lavatunnel, z.B. auf Hawaii.
Farbkodiertes Höhenmodell [3] |
Eine weitere Möglichkeit sind rein mechanische Vorgänge, ohne den Einfluss vulkanischer Prozesse: Durch eine Dehnung der Marskruste kommt es zu Dehnungsbrüchen, so genannten Extensionsklüften, entlang deren Verlauf sich rundliche Senken bilden. An diesen Senken "sackt" das Material an der Oberfläche nach unten. Dass in dieser Region die Marskruste gedehnt wurde wird durch die geradlinig verlaufenden Bruchstrukturen bekräftigt - einzelne Geländeblöcke sind infolge der Dehnung in die dadurch entstandene "Lücke" abgesackt und bilden nun markante Geländestufen. Die Dehnungstektonik kommt auch im Namen Tractus Catena zum Ausdruck (lateinisch für "auseinander gezogene Kette").
Nadiraufnahme [4] |
Auch die Wirkung von Grundwasser kann, als dritte Möglichkeit, nicht ausgeschlossen werden. Ähnliches ist in Karstgebieten auf der Erde - beispielsweise auf der Schwäbischen Alb mit ihren zahlreichen, Dolinen genannten Einsturzkesseln zu beobachten. Dort bilden sich im Untergrund Kavernen, die durch die chemische Wirkung von sich im Grundwasser bildender Kohlensäure entstehen, das Kalkgestein löst. Im Laufe der Zeit bilden sich so beachtliche Hohlräume, deren Decken durch die zu große Eigenlast einstürzen. Auch wenn es auf dem Mars keine Kalkgebirge gibt, könnten Lösungsprozesse zu ähnlicher Hohlraumbildung führen und anschließend, wie bei den Lavaröhren, Teile der Tunneldecke einbrechen und eine Reihe von Absenkungstrichtern bilden.
Hohlräume unter der Oberfläche sind ein großes Thema der Marsforschung
RGB Farbbild [5] |
Das Vorhandensein von Wasser im Zusammenhang mit unterirdischen Hohlräumen ist besonders für die Suche nach mikrobiellem Leben auf dem Mars von herausragendem Interesse. Denn in solchen Höhlen könnten Mikroorganismen überleben: In diesen Hohlräumen wären solche einfachen Organismen geschützt vor den unwirtlichen Bedingungen auf der Marsoberfläche, über die sich nur eine dünne Atmosphäre wölbt, die UV-Strahlung und andere, schädliche kosmische Strahlung kaum zurückhält.
Rot-Cyan Anaglyphe [6] |
Auch für die bemannte Raumfahrt und die Erschließung unseres Nachbarplaneten in ferner Zukunft sind solche Höhlen interessant, da sie Schutz vor der Strahlenbelastung bieten. Denn anders als die Erde verfügt der Mars nur über ein sehr schwaches Magnetfeld, das zudem nicht global wirkt. Schon in der Marsumlaufbahn ist die Strahlenbelastung etwa zweieinhalb Mal höher als in der Internationalen Raumstation ISS, wo bereits das 100fache der Strahlenbelastung erreicht wird, der man im Schnitt auf der Erdoberfläche ausgesetzt ist.
Die Aufnahmen mit der HRSC (High Resolution Stereo Camera) entstanden am 22. Juni 2011 während Orbit 9538 von Mars Express aus einer Höhe von etwas mehr als 400 Kilometern über der Marsoberfläche. Die Bildauflösung beträgt etwa 20 Meter pro Bildpunkt (Pixel). Die Abbildungen zeigen einen Ausschnitt bei 23° nördlicher Breite und 257° östlicher Länge.
Bildverarbeitung und das HRSC-Experiment auf Mars Express
Die Farbansichten wurden aus dem senkrecht auf die Marsoberfläche gerichteten Nadirkanal und den Farbkanälen der HRSC erstellt; die perspektivische Schrägansicht wurde aus den Stereokanälen der HRSC berechnet. Das Anaglyphenbild, das bei Betrachtung mit einer rot-blau- oder rot-grün-Brille einen dreidimensionalen Eindruck der Landschaft vermittelt, wurde aus dem Nadirkanal und einem Stereokanal abgeleitet. Die schwarzweiße Darstellung beruht auf der Aufnahme mit dem Nadirkanal, der von allen Kanälen die höchste Auflösung bietet. Die in Regenbogenfarben kodierte Draufsicht beruht auf einem digitalen Geländemodell der Region, von dem sich die Topographie der Landschaft ableiten lässt.
Das Kameraexperiment HRSC auf der Mission Mars Express der Europäischen Weltraumorganisation ESA wird vom Principal Investigator (PI) Prof. Dr. Gerhard Neukum (Freie Universität Berlin), der auch die technische Konzeption der hochauflösenden Stereokamera entworfen hatte, geleitet. Das Wissenschaftsteam besteht aus 40 Co-Investigatoren aus 33 Institutionen und zehn Nationen. Die Kamera wurde am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) unter der Leitung des PI entwickelt und in Kooperation mit industriellen Partnern gebaut (EADS Astrium, Lewicki Microelectronic GmbH und Jena-Optronik GmbH). Sie wird vom DLR -Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof betrieben. Die systematische Prozessierung der Daten erfolgt am DLR. Die Darstellungen wurden vom Institut für Geologische Wissenschaften der FU Berlin erstellt.
Download
hochaufgelöste Bilddaten / high resolution image data
Kontextkarte [2]: |
Farbkodiertes Höhenmodell [3]: |
Nadiraufnahme [4]: |
RGB Farbbild [5]: |
Perspektive [1]: |
Rot-Cyan Anaglyphe [6]: |
© Copyright: ESA/DLR/FU Berlin (G. Neukum)